Auf dem Weg zu glaubwürdiger Abschreckung

Deutschlands Schritte zu gesamtstaatlicher Resilienz

Deutschlands gesamtstaatliche Resilienz
  • Blogartikel
  • Februar 2025

Dr. Germar Schröder, Dr. Nils Förster, Per Ole Selle und Kerstin Zimmermann

Die Bedeutung Deutschlands als zentrale Drehscheibe im Kontext von Enablement und militärischer Mobilität – als Grundlage einer glaubwürdigen Abschreckung – ist seit dem Erscheinen unserer Studie „NATO im Wandel“ im Jahr 2023 zum Anlass der damaligen Berliner Sicherheitskonferenz noch einmal gestiegen. Die in der Studie skizzierten notwendigen Paradigmenwechsel besitzen noch immer ihre Gültigkeit, während in der aktuellen Lage insbesondere die Aspekte von gesamtstaatlicher Resilienz und zivil-militärischer Zusammenarbeit immer stärker in den Vordergrund rücken. Die Betreiber kritischer Infrastruktur berichten von einer starken Zunahme systematischer hybrider Angriffe1. Gleichzeitig wächst nach Expertenanalysen das Risiko militärischer Bedrohung aus dem Osten2. Glaubwürdige Abschreckung und Resilienz sind daher so bedeutend wie nie zuvor.

Es gilt, die im Herbst 2023 vorgeschlagenen Handlungsfelder auf ihre Aktualität und Umsetzungstand zu überprüfen, den bisherigen Fortschritt zu untersuchen und weitere Handlungsfelder für die Gesamtverteidigung zu identifizieren. Dazu stützen wir uns auf Kernaussagen von Interviews, die mit externen militärischen Expert:innen geführt wurden, und fassen deren Einschätzungen mit der strategischen Expertise unserer Strategieberater:innen für den öffentlichen Sektor zusammen.

1 BSI Lagebericht(2024)
2 Strategy& Expert:innen-Interviews sowie weitere öffentliche Quellen z.B. Deutschlandfunk(2024)

Wo steht Deutschland auf dem Weg zu mehr Abschreckung und Resilienz? 

Vorweg lässt sich konstatieren: Seit unserer Bestandsaufnahme im Herbst 2023 hat sich bereits Vieles bewegt. Die 2024 neu gefassten Rahmenrichtlinien für die Gesamtverteidigung (RRGV) bilden das konzeptionelle Fundament zur Sicherung der Souveränität Deutschlands in Krisenzeiten, stellen an sich jedoch noch keine Maßnahme zur Herstellung glaubhafter Abschreckung dar und bedürfen daher weiterer Operationalisierung.

Der „Operationsplan Deutschland“ (OPLAN DEU), der militärische Aufgaben und Anforderungen der Streitkräfte auch an die zivile Zusammenarbeit beschreibt, wurde in einer ersten Iteration bewilligt, im November 2024 ersten (Einzelszenario-basierten) Stresstests unterzogen, und soll im Frühjahr 2025 erstmals jährlich geplante, weitere Iterationen erfahren3. Doch obwohl bereits Arbeitsgruppen gegründet wurden, der Dialog mit Ländern, Kommunen und Hilfsorganisationen begonnen hat, und erste Übungen stattgefunden haben sowie Transitrouten ausgeplant und ersten Tests unterzogen wurden – wichtige Fragen wie etwa zur Eignung der Infrastruktur und der europäischen Zollvereinbarung sind nach wie vor offen4.

Daneben konnten erste Verträge auf Basis von NATO-Anforderungen (beispielsweise für die Unterstützung der „Convoy Support Center“) mit Industriepartnern geschlossen werden. Die Deutsche Bahn hat gemeinsam mit dem BKA ein Lagezentrum eingerichtet, um auf das zunehmende Sabotagerisiko an ihrer kritischen Infrastruktur reagieren zu können5. Auch werden die rechtlichen Rahmenbedingungen auf mögliche Anpassungen, etwa im Kontext der Drohnenabwehr, geprüft. „Die Zeitenwende ist auch im politischen Willen angekommen“, wie unsere Interviewpartner:innen ebenfalls bestätigen. Doch geschieht diese Willens(um-)bildung rasch genug? Angesichts der von allen Interviewpartner:innen konstatierten, systematischen und hybriden Angriffe, insbesondere an den Schnittstellen zwischen unseren schützenden Kräften, muss diese Frage kontinuierlich aufs Neue gestellt werden.

3 Bundeswehr(2024)
4 Untersuchung der EU
5 Strategy& Expert:innen-Interviews

Welche neuen und alten Herausforderungen gilt es zu bewältigen?

Das wachsende Bedrohungsszenario an der NATO-Ostflanke führt zu einer deutlichen Erhöhung der Truppenstärken im Baltikum und Polen, um sowohl die glaubwürdige Abschreckung zu gewährleisten als auch die tatsächliche Einsatzbereitschaft gegen mögliche Aggressionen sicherzustellen6.

Parallel dazu erfordern zivile Szenarien wie Cyberangriffe auf Stromnetze und Infrastruktur mit erheblichen Folgen für die Bevölkerung und Wirtschaft – durch Stromausfälle, Handelsstörungen, Ausfall der Verkehrsführung, bis hin zum Stillstand der Industrieproduktion – einen umfassenden Ansatz zur Allgefahrenabwehr, um die Sicherheit und Stabilität des Landes zu gewährleisten.

Zwar beschreiben bestehende Konzepte ausführlich den Handlungsbedarf zur Gesamtverteidigung, greifen jedoch nicht lückenlos ineinander. So fehlt es beispielsweise an einem zivilen Gegenstück zum OPLAN DEU. Auch eine gesamtstaatliche Bedarfs- und Finanzplanung besteht bislang noch nicht, bei der insbesondere die Deckung des Personalbedarfs sowie die erheblichen finanziellen Erfordernisse zentrale Herausforderungen darstellen.

Zusätzlich erschwert wird die Aufgabe der gesamtstaatlichen Verteidigung durch eine bisher nicht ausreichende ressortübergreifende Koordination und Operationalisierung sowie ein fehlendes ganzheitliches Lagebild bzw. ein ressort-, ebenen- und organisationsübergreifendes vernetztes Führungssystem.

Dies betrifft auch die oft unklare Zuständigkeit zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Viele Pläne verharren auf strategischer Ebene und definieren nicht eindeutig, wer im Krisenfall welche Maßnahmen umsetzt. Gleichzeitig müssen alle relevanten Akteure von der politischen bis zur operativen Ebene in die Sicherheitsplanung einbezogen werden, wozu ausdrücklich auch die Wirtschaft und Bevölkerung gehören – was bislang allerdings nur unzureichend organisiert ist. Dabei ist gerade das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Problemlösungsfähigkeit der politischen Institutionen von entscheidender Bedeutung.

Daneben bleiben auch jene Herausforderungen aus unserer Analyse von 2023 weiterhin aktuell: Die momentanen Sicherstellungs- und Vorsorgesetze sind unzureichend, um im Ernstfall eine schnelle Reaktion der Streitkräfte sicherstellen zu können. Insbesondere unsere geforderte Schaffung eines rechtlichen „in between“-Zustands (zwischen dem klassischen Spannungs- oder Verteidigungsfall und Frieden) hat bisher noch nicht hinreichend Einzug in die politische Debatte genommen.

Wie lässt sich glaubwürdige Abschreckung bis zum Ende der Dekade erreichen?

In unseren Gesprächen mit militärischen und zivilen Expert:innen kristallisiert sich ein fortgesetzter dringender Handlungsbedarf in den folgenden Maßnahmenfeldern heraus, die es in den nächsten Monaten zu stärken gilt, um Geschwindigkeit und Erfolg auf dem Weg zu mehr Abschreckung und Resilienz sicherzustellen:

  1. Operationalisierung der bestehenden Planung
    Es existieren bereits eine Reihe von Plänen (OPLAN DEU, RRGV), allerdings werden diese noch nicht mit der ausreichenden Geschwindigkeit operationalisiert. Zum einen sollte der OPLAN DEU um eine detaillierte Bedarfsanalyse und sorgfältige Finanzplanung ergänzt und effektiv umgesetzt werden. Zusätzlich ist eine zivile Entsprechung zum OPLAN DEU im Rahmen der RRGV erforderlich. Das Grünbuch des Zukunftsforums Öffentliche Sicherheit (ZOES) liefert hierfür bereits erste Lösungsansätze für eine gesamtstaatliche Umsetzung7.
  2. Aufbau einer gesamtstaatlichen Koordination und Lagebilds
    Der übergreifende Handlungsbedarf erfordert eine „Top-Down“-Strukturierung und Koordination. Dazu bedarf es eines Nationalen Sicherheitsrats, der im Bundeskanzleramt angesiedelt sein sollte. Zusätzlich besteht die Notwendigkeit, konsolidierte, gesamtstaatliche Lagebilder zu militärischen und zivilen Potenzialen sowie Bedrohungen zu erstellen und einen klaren Prozess zu entwickeln, um Risiken zu identifizieren, zu priorisieren und daraus abzuleiten, welche Maßnahmen erforderlich sind.
  3. Ergänzung der Führungsstruktur
    Die militärischen Führungsstruktur unterhalb des Operativen Führungskommandos der Bundeswehr (OpFü) muss durch eine führungs- und einsatzfähige Struktur zwischen Landeskommandos und Heimatschutzdivision ergänzt werden. Zudem muss die zivil-militärische Führungsstruktur stringent über alle föderalen Ebenen kaskadiert und standardisierte Meldeketten zwischen staatlichen, militärischen und zivil-privatwirtschaftlichen Akteuren etabliert werden. Hierbei sollten insbesondere die existierenden isolierten Aktivitäten auf regionaler Ebene (z.B. im Zivilschutz) sinnvoll in die gesamtstaatliche Führungsstruktur eingebunden werden.
  4. Umsetzung gesetzgeberischer Handlungsbedarfe
    Die Gesetze zur Sicherung und Vorsorge sind in ihrer jetzigen Form noch unzureichend für die neue geopolitische Lage ausgelegt. Speziell im „in between“-Zustand, der hybriden Bedrohungslage unterhalb des Spannungsfalls, sind die relevanten Akteure aktuell sowohl zivil als auch militärisch nur eingeschränkt handlungsfähig (z.B. beim Vorrang von Bundeswehr-Fahrzeugen).
  5. Aufbau einer effektiveren Reserve
    Dem vorherrschenden Personalmangel muss entschieden begegnet werden, indem nach Einschätzung der interviewten Expert:innen erstens die Effizienz gesteigert wird, zweitens größer auf die Reserve zurückgegriffen werden kann, sowie drittens die Dienst-/Wehrpflicht wieder eingeführt wird. Kurzfristig sollte vor allem die Reserve enger an die aktive Truppe angebunden werden. Dafür bedarf es langfristig allerdings auch einer deutlich verbesserten Ausstattung der Reserve sowie mehr gemeinsame Übungen mit der aktiven Truppe.
  6. Koordination des zivilen Unterstützungsbedarfs
    Ziviler Unterstützungsbedarf besteht vor allem bei logistischen und technischen Dienstleistungen sowie bei der medizinischen Versorgung. Hinsichtlich der technischen und logistischen Unterstützung existieren zwar bereits umfangreiche Fähigkeiten, gleichzeitig besteht aber auch ein erheblicher Bedarf. Zudem mangelt es an Transparenz und Verfügungsgewalt, was übergreifende Koordinationsstrukturen notwendig macht. Zusätzlich sollten umfassende Vorhalteverträge abgeschlossen werden. Im Bereich der medizinischen Versorgung sind die Hilfswerke nach Einschätzung der befragten Expert:innen grundsätzlich gut aufgestellt, jedoch muss auch hier die Koordination gestärkt werden und der rechtliche Rahmen für die zivile Unterstützung definiert werden, etwa wenn es um die entstandenen Kosten geht. Daneben sollten militärische Anforderungen bei der Umsetzung der Krankenhausreform berücksichtigt werden.
  7. Weiterentwicklung der Infrastrukturplanung und des Schutzes
    Kurzfristig gilt es, eine umfassende Strategie zum Schutz kritischer Infrastrukturen zu entwickeln, wobei auf ziviler Seite besondere Verantwortung für die Organisation besteht. Außerdem muss die Berücksichtigung militärischer Gesichtspunkte in der Infrastrukturplanung deutlich intensiviert werden, um den gestiegenen Sicherheitsanforderungen gerecht zu werden und eine glaubhafte Abschreckung sicherzustellen.

Fazit

Die wachsende Bedrohungslage in Europa und Deutschland erfordert einen „Masterplan Gesamtverteidigung“ sowie eine angemessene Finanzierung aller Maßnahmen. Ein engeres Zusammenspiel zwischen der Bundeswehr, zivilen Organisationen und der Bevölkerung mit klarer übergreifender Führungsstruktur sowie eine kontinuierliche technologische Aufrüstung sind dabei ebenso wichtig wie die politische und gesellschaftliche Unterstützung für eine nachhaltige Sicherheitsstrategie.

Die Autoren danken Generalleutnant a.D. Peter Bohrer für seine Mitarbeit am vorliegenden Blogartikel. Weitere Beiträge stammen von Marius Wienand.

Veröffentlicht zum Anlass der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) 2025.

Disclaimer: Bei diesem Blogartikel handelt es sich nicht um eine offizielle Veröffentlichung der MSC. Der Inhalt dieses Blogartikels gibt nicht die Meinungen oder Ansichten der MSC wieder und ist als Beitrag und Anregung für die Debatte rund um die MSC gedacht.

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