Stabilität als Standortvorteil: Europas Aktien-Chance

München, 16. Juli 2025

Pressemitteilung

  • Europas Aktienmärkte könnten angesichts globaler ökonomischer Unsicherheiten vor einem goldenen Jahrzehnt stehen, doch bisher bremsen sie strukturelle Hürden und regulatorische Komplexität aus
  • Um das Momentum zu nutzen, muss Europa Börsengänge vereinfachen, Wachstumsbranchen fördern und ein europaweites Handelsregister aufbauen
  • Ein besonders wirkungsvoller Hebel ist die stärkere Einbindung von Kleinanleger:innen sowie der gezielte Aufbau eines EU-weiten Pensionsfonds
  • Dadurch könnten bis 2044 bis zu 9,5 Billionen Euro in die europäischen Kapitalmärkte fließen und Europa zu den USA aufschließen
  • Langfristig können europäische Unternehmen heute schon in Europa mehr Kurswachstum erzielen als in den USA, wie eine Analyse von Biotech-Unternehmen zeigt

Die europäischen Aktienmärkte stehen vor einer historischen Chance: Angesichts politischer Unsicherheiten in den USA könnten sie in den kommenden Jahren massiv an Bedeutung gewinnen und langfristig mit den US-Kapitalmärkten gleichziehen. Das zeigt die neue Studie „Gear shift for European Equity Markets – What will it take to make Europe a leader?“ der Association for Financial Markets in Europe (AFME) und Strategy&, der globalen Strategieberatung von PwC. Während die volatile US-Wirtschaftspolitik Investoren verunsichert, rücken die EU-Staaten demnach enger zusammen, um Kapital zu mobilisieren. Um das Momentum zu nutzen, braucht es laut Studie allerdings tiefgreifende Veränderungen, denn bislang bleiben die europäischen Märkte hinter ihrem Potenzial zurück. So entsprach die Marktkapitalisierung der US-Aktienmärkte 2024 rund 320% des realen BIP – in Europa lag sie bei lediglich 80%, obwohl beide Standorte ein ungefähr gleiches reales BIP haben. Auch bei Börsengängen hinkt Europa hinterher: Während in den USA 2024 187 Unternehmen via IPO insgesamt 34 Mrd. Euro einsammelten, waren es in Europa lediglich 88 Unternehmen, die auf 20 Mrd. Euro kamen. Hinzu kommt: Die durchschnittliche Kapitalrendite im S&P 500 liegt 52% über der des europäischen Stoxx 600, das Kurs-Gewinn-Verhältnis sogar 66% höher. Laut Studie kann Europa dieses Ungleichgewicht allerdings mit den richtigen Maßnahmen überwinden, Kapitalströme anziehen und sich als Aktienmarktstandort neu positionieren.

Mangelnde Finanzbildung bremst Europas Anleger:innen aus
Um das Potential zu entfalten, müssen mehrere Hürden überwunden werden. Nur 18% der EU-Bürger:innen verfügen etwa laut Studie über großes Finanzwissen – ein entscheidender Faktor, warum private Haushalte in Europa deutlich weniger in Aktien investieren als etwa in den USA. Während dort rund 39% des Haushaltsvermögens in Aktien angelegt sind, liegt der Anteil in großen europäischen Märkten (wie Deutschland) bei lediglich 11%. Hinzu kommen strukturelle Hürden, die den Zugang zu Kapital erschweren, etwa eine zersplitterte Marktinfrastruktur, die Anleger:innen je nach Land mit unterschiedlichen Handelsplätzen, Abwicklungs- und Gebührenmodellen konfrontiert. Hohe Transaktionssteuern verteuern den Handel zusätzlich und machen Investitionen unattraktiver. Immer mehr europäische Unternehmen entscheiden sich daher für den Börsengang in den USA. Seit 2010 haben sich dort über 200 europäische Firmen listen lassen, fast achtmal mehr als umgekehrt. Doch das Kalkül geht nicht immer auf. Die Analyse europäischer Biotech-Unternehmen zeigt: Langfristig erzielten Unternehmen an europäischen Börsen mit 61% ein deutlich höheres Kurswachstum als in den USA, wo der Wert im gleichen Zeitraum bei 45% lag.

„Wir beobachten seit mehreren Monaten eine tektonische Verschiebung der globalen Kapitalmärkte. Immer mehr Investor:innen schichten ihre Investments von den USA Richtung Europa um – mit dem Ergebnis, dass Europas Börsen die Wall Street erstmals seit Jahren überholt und höhere Kursgewinne verbucht haben“, sagt Dr. Philipp Wackerbeck, Partner bei Strategy& Deutschland und EMEA Banking & Capital Markets Leader bei PwC. „Ein wesentlicher Treiber dieser Dynamik liegt in der volatilen Zollpolitik der USA, während in Europa zugleich enorme staatliche Investitionsprogramme aufgelegt werden, nicht zuletzt angetrieben von Deutschland. Für Europas Kapitalmärkte ist das eine echte Chance. Um sie zu nutzen, braucht es einen klaren Plan, der wirtschaftliche, politische und geografische Hürden überwindet.“

„Ein zentraler Hebel ist dabei die stärkere Beteiligung von Privatanlegern, etwa durch den Aufbau eines europäischen Pensionsfonds. Europa könnte damit eine schlüssige Antwort auf den fortschreitenden demografischen Wandel geben und bereits 2025 und 2026 bis zu 480 Mrd. Euro zusätzlich mobilisieren. Bis 2044 könnten sogar bis zu 9,5 Billionen Euro angezogen werden und europäischen Firmen für Investitionen zur Verfügung stehen. Langfristig könnten Europas Kapitalmärkte so zu denen in den USA aufschließen“, ergänzt Dr. Maurice Schroff, Director bei Strategy& Deutschland und Co-Autor der Studie.

Europa kann US-Markt einholen
Eine weitere Triebfeder für eine nachhaltige Transformation der europäischen Kapitalmärkte liegt der Studie zufolge in der Modernisierung der Marktinfrastruktur. Eine zentrale Plattform, die alle Börsenkurse und Handelsdaten bündelt, würde Anleger:innen helfen, Preise transparenter zu vergleichen und fundiertere Entscheidungen zu treffen. Ergänzend könnten gezielte Förderfonds Kapital in weniger entwickelte Regionen oder Branchen lenken. Auch der Abbau von Stempel- und Transaktionssteuern würde den Handel vereinfachen und kostengünstiger machen. Ein anderer Schlüssel liegt in der gezielten Nutzung europäischer Stärken. Während die USA auf große Tech-Konzerne setzen, punktet Europa mit industrieller Kompetenz und grünen Technologien. Investitionen in diese Bereiche stärken nicht nur die wirtschaftliche Resilienz, sondern schaffen ein Aktienumfeld mit internationaler Anziehungskraft.

„Die europäischen Aktienmärkte sind nach wie vor von einem Flickenteppich nationaler Vorschriften geprägt. Jede für sich mag sinnvoll sein, in der Summe bremsen sie die EU-Kapitalmärkte allerdings aus. Um den aktuellen Rückenwind der globalen Kapitalmärkte für sich zu nutzen, braucht Europa daher umso dringender klare und einheitliche Regeln. Zwar wurden in den vergangenen Jahren Reformen angestoßen, etwa durch den EU Listing Act, doch ihre Wirkung bleibt bislang begrenzt“, sagt Peter Tomlinson, Managing Director im Kapitalmarktbereich bei der Association for Financial Markets in Europe (AFME). „In der Konsequenz ist der Börsengang für viele Unternehmen in Europa nach wie vor zu aufwendig, besonders, wenn sie grenzüberschreitend agieren. Was fehlt, ist ein klarer europäischer Rahmen für Listings, Prospekte und Anleger:inneninformationen. Dabei geht es nicht um weniger Aufsicht, sondern um klügere Prozesse für Unternehmen, Investor:innen und Behörden. Europa muss weltweit als Standort wahrgenommen werden, an dem Verlässlichkeit Wachstum ermöglicht – und nicht Bürokratie den Aufschwung bremst. Nur so lässt sich dauerhaft Kapital mobilisieren, das heute zu oft anderswo investiert wird.“

Die vollständigen Ergebnisse der Studie „Gear shift for European Equity Markets – What will it take to make Europe a leader?“ erhalten Sie auf Anfrage.

Methodik

Die Studie basiert auf 40 Interviews mit zentralen Akteur:innen der europäischen Kapitalmärkte (darunter Emittenten, Investor:innen, Börsenbetreiber und Finanzdienstleister) sowie auf einer quantitativen Analyse durch Strategy& und AFME.

Über Strategy&
Strategy& ist die globale Strategieberatung von PwC. Wir entwickeln individuelle Geschäftsstrategien für weltweit führende Unternehmen, basierend auf differenzierenden Wettbewerbsfähigkeiten. Wir sind die einzige Strategieberatung als Teil eines globalen Professional Services Netzwerks. Unsere Expertise kombinieren wir mit Technologie und erarbeiten daraus eine passende Strategie, die effizient umsetzbar ist. „Strategy, made real“ heißt für uns, den digitalen Wandel voranzutreiben, die Zukunft mitzugestalten und Visionen Wirklichkeit werden zu lassen. 4.500 Strategieberater:innen und mehr als 370.000 PwC-Mitarbeiter:innen in 149 Ländern tragen hierzu mit hochwertigen, branchenspezifischen Dienstleistungen in den Bereichen Wirtschaftsprüfung, Steuer- und Unternehmensberatung bei.

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Annabelle Kliesing

Annabelle Kliesing

Senior Manager Communications and Thought Leadership, Strategy& Deutschland

Tel: +49 (0) 171 1686 382

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