Covid-19-Pandemie, stagnierende Immobilienmärkte, Inflation, Zinspolitik der EZB, Krieg in der Ukraine: Europas Privatkundenbanken haben mit vielen Unwägbarkeiten zu kämpfen. Viele sehen die Situation aber als Chance und haben Transformationsprozesse begonnen, wie etwa eine aktive Einlagen- und damit Bilanzsteuerung sowie eine geänderte Risikopolitik mit Blick auf Immobilienfinanzierung. In diesem herausfordernden Umfeld war 2021 ein durchaus erfolgreiches Jahr für europäische Privatkundenbanken. Ihr Geschäft hat sich im vergangenen Jahr spürbar erholt: War der Umsatz im Vorjahr noch leicht zurückgegangen, ist er 2021 um durchschnittlich 4% gestiegen. Auch die Reduzierung des Filialnetzes schreitet weiter voran, wie der „Retail Banking Monitor 2022“ von Strategy&, der Strategieberatung von PwC, zeigt. Demnach hat sich die Anzahl der Filialen um durchschnittlich 8% im Vergleich zu 2021 verringert. In die Analyse wurden rund 50 Privatkundenbanken und Bankengruppen in Europa – sowie Nordamerika und Australien als Vergleichsgrößen – mit insgesamt 690 Mio. Kunden sowie geschätzten Privatkundeneinlagen und Kreditvolumina in Höhe von mehr als 19 Bio. Euro einbezogen.
„Die steigenden Umsätze und Gewinne zeigen, dass deutsche Privatkundenbanken bereits viele richtige Schlüsse aus den Herausforderungen der vergangenen Jahre gezogen haben. Gleichzeitig befinden wir uns mit Zinswende, Inflation, Kaufkraftverlusten und geopolitischen Risiken in einem Jahrzehnt mehrerer Großtransformationen. Es geht nicht mehr um ein Sichern des Status quo bei gesteigerter Effizienz, sondern um die strategische Gestaltung des Geschäftsmodells der Zukunft rund um innovative Produkte und neue Vertriebswege, sowie einen klaren ESG-Fokus. Hinzu kommen taktische Maßnahmen in einem Umfeld mit attraktivem Einlagengeschäft, aber auch schwieriger werdendem Kreditmarkt“, kommentiert Andreas Pratz, Studienautor und Partner bei Strategy& Deutschland.
Insgesamt zwei Drittel der untersuchten Banken konnten steigende Betriebserträge pro Kunde verzeichnen, während diese bei einem Drittel der Geldinstitute gesunken sind. Zum Teil war dabei der Standort maßgeblich für die Umsatzentwicklung: Banken in Ländern mit weniger strengen oder kürzeren Covid-19-Schutzmaßnahmen (etwa die Schweiz) sind im Jahr 2021 stärker gewachsen als ihre Wettbewerber. Mitunter dürften Institute davon profitiert haben, dass die Konsumtätigkeit in den jeweiligen Ländern und Regionen früher wieder einsetzte. Hinzu kamen Effekte durch zyklische Schwankungen (etwa in Großbritannien mit einer starken Abhängigkeit vom Immobilienmarkt sowie Konsumentenkrediten) oder durch Wettbewerbsdynamiken (etwa in den Niederlanden).
Beim Gewinn pro Kunde bleibt die Schweiz nicht nur Spitzenreiter, sie hat den Gewinn auch von allen untersuchten Ländern und Regionen am deutlichsten gesteigert. Lag er im Vorjahr noch bei 444 Euro, stieg er 2021 auf 528 Euro. Deutsche Banken verbessern sich leicht auf 180 Euro Gewinn pro Kunde; im Vorjahr waren es 172 Euro gewesen. Im internationalen Vergleich verlieren sie damit allerdings noch einen weiteren Platz und stehen im unteren Drittel. Deutliche Gewinnverluste müssen Privatkundenbanken beispielsweise in den Niederlanden (von 245 auf 208 Euro) hinnehmen. Im Gesamtdurchschnitt ist die Entwicklung dennoch positiv, getrieben vor allem durch das gesteigerte Geschäftsvolumen mit 7% Wachstum bei Einlagen sowie um 6% größere Kreditvolumina. Außerdem haben die Privatkundenbanken erfolgreich Preisstrategien für Konten erarbeitet sowie Servicegebühren angehoben, um ihre Gebühren- und Provisionserträge zu steigern. Dem Umsatzzuwachs von 4% stehen um 1% gestiegene Kosten gegenüber. 70% der untersuchten Banken konnten ihr Betriebsergebnis steigern, während 30% der Geldinstitute eine insgesamt sinkende Rentabilität verzeichneten.
Rang 2022 (2021) | Land |
Gewinn pro Kunde in Euro (Durchschnitt) |
---|---|---|
1 (1) | Schweiz | 5281) |
2 (3) | Australien | 290 |
3 (2) | Belgien | 281 |
4 (3) | Nordeuropa2) | 274 |
5 (6) | Spanien | 235 |
6 (8) | Österreich | 234 |
7 (5) | Niederlande | 208 |
8 (10) | Frankreich | 197 |
9 (7) | Italien | 185 |
10 (9) | Deutschland | 180 |
11 (11) | USA | 149 |
12 (12) | Großbritanien | 135 |
1) Die Steigerung zum Vorjahr geht anteilig auf Wechselkurseffekte aus der vergleichenden Darstellung in Euro zurück
2) Dänemark, Finnland, Norwegen, Schweden
„Neben kurz- bis mittelfristigen Herausforderungen durch Inflationsrisiken und das volatile Marktumfeld dürfen Privatkundenbanken nicht das langfristige Zielbild aus den Augen verlieren: Für das Retailbanking der Zukunft sollten sie eine strategische Agenda entwickeln, die neue Outbound-Vertriebsmodelle genauso einschließt wie kundenfreundliche Produktangebote. Beispiele hierfür sind die vereinfachten mobilen Brokerage-Angebote, sogenannte Robo-Advisors, oder die Weiterentwicklung von Verbraucherkrediten zu ,Buy-Now-Pay-Later‘-Kreditoptionen, die einfachere und günstigere Angebote für breitere Zielgruppen ermöglichen. Zudem benötigen Institute attraktive Lösungen für den wachsenden ,Embedded Finance‘-Bereich, der bis zum Jahr 2030 bereits 15% der Erträge im Privatkundengeschäft ausmachen könnte“, schließt Andreas Pratz.