KI hilft Frauen gegen Gender-Bias in der Medizin

München, 09. Juli 2024

Pressemitteilung

  • Frauen erkranken seltener an koronaren Herzerkrankungen (KHK) als Männer, sterben allerdings häufiger daran.
  • Künstliche Intelligenz (KI) kann diese geschlechterspezifische Benachteiligung verringern, indem sie zum Beispiel die Diagnose von KHK bei Frauen verbessert und Ärzt:innen hilft, Frauen, die bisher durchs Diagnoseraster gefallen wären, zu identifizieren.
  • Langfristig kann aber auch die Früherkennungsrate von KHK bei Frauen durch KI erhöht werden, indem spezifische Merkmale und Risikofaktoren von KHK bei Frauen sowie Muster weiblicher KHK intensiver analysiert und verstanden werden. Die Berücksichtigung geschlechtsspezifischer Unterschiede legt den Grundstein für die Entwicklung individualisierter, präziser Therapiepläne und einer fortschrittlichen medizinischen Versorgung der Zukunft.
  • Der Einsatz von KI birgt darüber hinaus enormes Potential, das Gesundheitssystem zu entlasten und die medizinische Versorgung insgesamt zu verbessern, indem Patient:innen gezielt nach einem Risikoscore behandelt werden.
  • Um medizinische KI-Pilotprojekte wie Frau.Herz.KI zur Praxisreife zu bringen, braucht es mehr und umfassendere klinische Daten besonders von Frauen, die den aktuellen Stand der Gender-Forschung im Bereich KHK berücksichtigen.
  • KI-Anwendungen müssen kontinuierlich auf mögliche Diskriminierung überprüft und iterativ weiterentwickelt werden.

Künstliche Intelligenz (KI) kann die medizinische Benachteiligung von Frauen deutlich verringern und zum Beispiel die Früherkennung von KHK bei Frauen um bis zu 7% steigern. Das zeigen die Ergebnisse des Abschlussberichts „Frau.Herz.KI – Gerechte Medizin für Frauen“ zu einer Machbarkeitsstudie für den Einsatz von KI in der Kardiologie. Das Pilotprojekt wurde gemeinsam von Strategy&, der globalen Strategieberatung von PwC, sowie PwC Deutschland, dem Peter Osypka Herzzentrum München und der TU München umgesetzt und ist eines der wichtigsten KI-Leuchtturmprojekte zur Früherkennung von koronaren Herzkrankheiten (KHK) bei Männern und Frauen.

Gestartet ist das Projekt im Mai 2023 unter der Schirmherrschaft der damaligen Bayerischen Digitalministerin und amtierenden Gesundheitsministerin Judith Gerlach. Jetziger Schirmherr der Initiative ist der Bayerische Staatsminister für Digitales Dr. Fabian Mehring. Als Technologiepartner waren AWS und Applied AI beteiligt.

Ziel des Projekts ist es, KI verantwortungsvoll zu nutzen und Ergebnisse anhand KI-gestützter Modelle erklärbar, nachvollziehbar und sicher zu machen, diskriminierungsfreie Daten und Modelle zu verwenden und zu entwickeln, um hierdurch Patient:innen mittel- bis langsfristig neue digitale Leistungen anbieten zu können. In der erfolgreich abgeschlossenen ersten Projektphase wurde ein interaktiver Demonstrator entwickelt, der auf Basis anonymisierter Patient:innendaten KI-unterstützt einen individuellen, geschlechtersensiblen Risiko-Score für KHK errechnet. Dieser gibt den behandelnden Ärzt:innen mehr Informationen und Zusammenhänge für die ärztliche Entscheidungsfindung an die Hand.

Gender Health Gap weiterhin groß
Viele Diagnosemethoden für die Erkennung koronarer Herzerkrankungen basieren aktuell auf Studien, in denen Frauen bislang unterrepräsentiert sind. Genderspezifische Besonderheiten in der Symptomatik – nicht selten leiden Frauen bei einer KHK unter eher untypischen Symptomen und nicht unter dem klassischen, in den linken Arm und/oder Hals ausstrahlenden Brustschmerz – können außerdem dazu führen, dass eine KHK nicht immer in Betracht gezogen wird. In der Kardiologie treten diese Krankheitsbilder zudem tatsächlich häufiger bei Männern auf, sodass ärztliche Erfahrungswerte und Datensätze verzerrt sein können. Bereits die Einweisung ins Krankenhaus dauert bei Frauen mit einem akuten Koronarsyndrom im Schnitt bis zu 3,7 Stunden länger als bei männlichen Patienten. Nach einem Herzinfarkt ist eine Fehldiagnose für Frauen um 50% wahrscheinlicher.1 Und obwohl koronare Herzkrankheiten bei Frauen seltener auftreten, sterben sie anteilig öfter daran.

„Mit unserem Erfolgsprojekt haben wir im engen Schulterschluss zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Politik einen kleinen Durchbruch für die Herzgesundheit von Frauen erreicht. Gemeinsam zeigen wir, dass Künstliche Intelligenz kein Science-Fiction-Schreckensgespenst aus der Zukunft ist, sondern schon heute dazu in der Lage ist, im hier und jetzt Leben zu retten“, so Digitalminister Dr. Fabian Mehring anlässlich der Präsentation der Projektergebnisse.

„Gemeinsam mit den menschlichen Experten kann der KI-Kardiologe die Diagnose von Herzkrankheiten deutlich verbessern und dadurch schneller passgenauere Therapien ermöglichen. Und nicht nur das: Aufbauend auf den Projektergebnissen ergeben sich faszinierende Zukunftsperspektiven für die Früherkennung von Risikopatient:innen – damit es erst gar nicht zu einem Herzinfarkt kommt.

Es hat sich gezeigt, dass die Treiber für koronare Herzerkrankungen größtenteils geschlechtsspezifisch sind. Denkbar ist etwa für die Zukunft, auf Basis der Ergebnisse unseres Projekts eine Art ‚digitalen Assistenzarzt‘ zu entwickeln, der Mediziner:innen in allen Regionen Bayerns dabei hilft, den Gender Health Gap zu überwinden und ihre Patient:innen mithilfe von KI noch besser zu behandeln.“

KI kann Gender-Bias entzerren – wenn die Datenlage stimmt
Laut der Machbarkeitsstudie kann KI vor allem bei der kardiologischen Diagnose wertvolle Unterstützung leisten. Unter den knapp 40 im Proof of Concept (PoC) getesteten KI-Algorithmen zeigten die besten Modelle, dass sie die Vorhersage einer KHK auf Basis vorhandener Daten um bis zu 19% besser durchführen können als die in die Studie einbezogenen Ärzt:innen ohne KI-Unterstützung.

Allerdings kristallisierte sich auch hier der bestehende Gender-Bias heraus. Während geschlechtsspezifische KI-Modelle eine KHK bei Männern um 20% besser vorhersagen kann, lag der Vorteil bei Frauen nur noch bei 7% gegenüber den Experteneinschätzungen. Grund dafür sind Verzerrungen in den von den beteiligten Kliniken zur Verfügung gestellten Datensätzen, die vornehmlich männlich assoziierte Einflussfaktoren sowie deutlich mehr männliche Patienten beinhalten. Die KI soll den Ärzt:innen aber auch heute schon helfen, vorhandene Daten besser zu verstehen und darin Muster zu identifizieren, die sie im Praxisalltag aufgrund der Vielzahl an Einzelfallbetrachtungen bislang nicht erkennen können.

„KI kann uns in der Medizin schon heute helfen, gezielte Entscheidungen zu treffen. Klar ist aber auch: KI kann nicht die Ärztin oder den Arzt ersetzen, aber KI kann Ärzt:innen unterstützen! Allerdings müssen wir uns dabei stets bewusst sein, dass sich bestehende Verzerrungen wie der Gender-Bias – also das Geschlecht betreffende Unterschiede – durch die entsprechenden Daten auch auf KI-Systeme übertragen und dort manifestieren können. Deshalb müssen wir uns für geschlechterspezifische KI-Anwendungen einsetzen, wie ,Frau.Herz.KI‘ das macht“, betont Judith Gerlach, Bayerische Staatsministerin für Gesundheit, Pflege und Prävention.

„Damit sich das volle Potential medizinischer KI-Anwendungen entfalten kann und sie tatsächlich für mehr Gleichberechtigung unter medizinischen Gesichtspunkten sorgen, sind repräsentative Datensätze und geschlechtsspezifische KI-Modelle unerlässlich. Umso mehr gilt es, jetzt die nächsten Schritte anzugehen und neue, umfassendere Datensätze zu beschaffen, die erstens mehr Frauen und zweitens mehr entsprechende weibliche Einflussfaktoren beinhalten. Damit können die trainierten Modelle so optimiert werden, dass sie individualisierte Diagnostik und Behandlung wirksam unterstützen und auch die Prävention verbessern. Deshalb passt dieses Projekt auch so gut zum diesjährigen Schwerpunktthema des Gesundheitsministeriums zur Frauengesundheit und ich werde es weiter begleiten.“

Für den Erfolg medizinischer KI-Anwendungen kommt es laut Studie zudem auf Praxistauglichkeit und Kompatibilität zu bestehenden Systemen und Abläufen im ärztlichen Alltag an. „Das ,Frau.Herz.KI‘-Projekt zeigt sehr deutlich, dass wir angesichts einer immer komplexer werdenden Welt nur mit multidisziplinären Ansätzen weiterkommen, welche Digitalisierung, Technologie, Regulatorik und in diesem Fall Gesundheit zusammen denken“, sagt Petra Justenhoven, Sprecherin der Geschäftsführung bei PwC Deutschland und PwC Europe Senior Partnerin. „Zugleich sehen wir an dem KI-Pilotprojekt, dass es sich lohnt, die Kräfte zu bündeln. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass sich viele positive Ergebnisse auf andere medizinische Bereiche übertragen lassen und mit dem Projekt ein echter Brückenschlag zwischen Forschung und Praxis gelingt.“

1 Deutsche Herzstiftung (2022): Deutscher Herzbericht 2021

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Jan-Philipp Loch

Jan-Philipp Loch

Senior Communications and Thought Leadership Expert, Strategy& Deutschland

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