Der Absatzboom reinelektrischer Fahrzeuge (Battery Electric Vehicle, BEV) hält in Deutschland an – und führt zu einem immer stärkeren Druck auf Preise und Margen. Das zeigt der „Electric Vehicle Sales Review“ von PwC Autofacts® und Strategy&, der Strategieberatung von PwC, in dem die Neuzulassungszahlen in weltweit 20 ausgewählten Märkten ausgewertet werden. In Deutschland wurden im zweiten Quartal 2023 demnach 50,1% mehr BEVs verkauft als im Vorjahreszeitraum, ein deutlicher Sprung im Vergleich zum Quartal davor, in dem der Zuwachs bei 13,2% lag. Durch das kräftige Wachstum erreichen BEVs im ersten Halbjahr in Deutschland einen Marktanteil von 15,8% und durchbrechen damit die Schwelle zum Massenmarkt. Im gleichen Zeitraum verlieren Plug-In-Hybride (PHEV) dagegen weiter an Boden und machen nur noch 5,7% aller Neuzulassungen aus.
Den Preiskampf gewinnen die Kostenchampions
Nachdem die Nachwehen von Covid-19 sowie des weltweiten Chip-Engpasses schwinden, zieht die Produktion der deutschen Autobauer wieder an. Allerdings gehen zugleich die Auftragseingänge leicht zurück. In dieser Situation sehen sich die OEMs vor die Entscheidung gestellt, ihre Produktion zu drosseln oder ihre Fahrzeuge stärker zu rabattieren. Die Daten des Electric Vehicle Sales Review zeigen, dass die Autobauer am deutschen Markt verstärkt auf Rabatte setzen und diese auch für BEVs gewähren. So kletterte der durchschnittliche Preisnachlass für BEVs im Premiumsegment innerhalb eines Monats um 26,6%* und betrug im Juli dieses Jahres 13,8%*. Im mittelpreisigen Segment lag der Durchschnittsrabatt bei 11,1%*, was einem Anstieg von 30,6%* im Vergleich zum Vormonat entspricht. Lediglich im Volumenmarkt, in dem weiterhin die höchsten staatlichen Kaufprämien locken, blieben die Rabatte weitgehend gleich.
Wenn vor allem die deutschen Hersteller ihre traditionellen Stärken bei Produktqualität und Integrationsfähigkeit ausspielen wollen, müssen sie ihre Kosten besser als bisher kontrollieren: „Die chipmangelbedingte Verschnaufpause, die das BEV-Angebot künstlich verknappt und nicht zuletzt deutschen Herstellern große Gewinne beschert hat, ist vorüber. Mit dem Eintritt in den Massenmarkt herrschen nun auch im Elektrosegment normale Marktbedingungen – mit allem, was dazu gehört“, sagt Felix Kuhnert, Partner und Automotive Leader bei PwC Deutschland. „Die Early-Adopter und Überzeugungskäufer haben sich eingedeckt. Nun greifen die Mainstreamkäufer zu, die jedoch härtere Kriterien hinsichtlich Produkt und Preis anlegen. Die deutschen OEMs werden aktuell in einen Preiskampf gezwungen, den sie nur bestehen können, wenn sie noch Puffer bei den Kosten haben. Am Ende werden jene Marken als Sieger vom Feld gehen, die ihre Lieferketten wie beim Verbrenner üblich kontrollieren und mit attraktiven Fahrzeugen und Angeboten im Volumenmarkt überzeugen.“
Deutsche Hersteller können Heimatmarkt noch verteidigen
Während die deutschen Autobauer ihre dominierende Position am chinesischen Gesamtmarkt im vergangenen Quartal räumen mussten, wuchsen sie im BEV-Segment auf Halbjahressicht mit 44,1% gegenüber dem Vorjahreszeitraum zumindest stärker als der chinesische BEV-Markt, der um 32,4% zulegen konnte. Im ersten Halbjahr 2023 erzielten sie damit bei BEVs einen Marktanteil von 4,4%. Auf ihrem Heimatmarkt behaupten die deutschen OEM-Gruppen ihre Stellung. Im Juni kommen sie zusammen auf über 45% Marktanteil und machen drei der fünf am meisten verkauften Automarken aus. Der erfolgreichste chinesische Produzent MG kommt auf 3,7% Marktanteil. Bei den reinen BEV-Neuzulassungen dominiert im ersten Halbjahr Tesla die vier wichtigsten EU-Märkte Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien. Der MG 4 belegt beim Ranking der beliebtesten Modelle allerdings bereits den siebten Platz und liegt damit vor dem Volkswagen ID.3 und Audi Q4 e-tron.
Drohende Oligopolbildung auf dem Batteriemarkt
Der Hochlauf der Batteriezellfertigung in Europa geht unterdessen in großen Schritten voran. Der chinesische Marktführer CATL hat im thüringischen Arnstadt nach fünfjähriger Bauzeit ein Werk mit einer jährlichen Speicherkapazität von 14 Gigawattstunden eröffnet. Ein noch größeres Werk ist in Ungarn geplant. „Mit dem Ausbau der Batteriezellfertigung in Europa macht der Hochlauf der Elektromobilität einen großen Sprung nach vorn. Allein mit der deutschen Produktionskapazität von CATL können 180.000 batterieelektrische Fahrzeuge (mit einer durchschnittlichen Batterie von 75 kWh brutto) ausgerüstet werden und damit ein Fünftel aller in Deutschland produzierten Fahrzeuge. Gerade die deutschen Hersteller stehen nun allerdings vor der Frage, ob sie sich in eine starke technologische Abhängigkeit von Batteriezulieferern begeben sollen, die mit günstigen Konditionen bei Exklusivabnahmen locken, um in der aktuell kritischen Phase Kosten zu senken. Oder ob sie dem Werben widerstehen und durch den Aufbau eigener Fertigung die strategische Kontrolle über die Lieferketten langfristig zurückzuerlangen“, sagt Jörn Neuhausen, Director und Leiter Elektromobilität bei Strategy& Deutschland.
*Preisnachlass ohne Umweltprämie