Der Welt droht eine Adipositas-Krise. Schätzungen zufolge wird in zehn Jahren jeder vierte Mensch an starkem Übergewicht leiden, in Deutschland jeder dritte. Laut der World Obesity Federation könnte die finanzielle Belastung für die globalen Gesundheitssysteme dadurch 2035 bereits 4,3 Bio. US-Dollar betragen. Zugleich wollen die meisten Menschen langfristig abnehmen und suchen dafür ganzheitliche Lösungen, wie eine aktuelle Studie von Strategy&, der globalen Strategieberatung von PwC, zeigt. Hierdurch entsteht ein Markt mit einem Volumen von über 400 Mrd. US-Dollar.
Für die Studie wurden gemeinsam mit dem Marktforschungsunternehmen Appinio über 2.000 Verbraucher:innen in Deutschland, Großbritannien sowie den USA befragt. Die Ergebnisse legen offen, dass bei vielen Befragten eine Diskrepanz zwischen Abnehmwunsch und Abnehmverhalten besteht. Zwar will ein Großteil der Studienteilnehmer:innen dauerhaft Gewicht verlieren, wählt dafür aber oft nur kurzfristige Abnehmstrategien, die kaum nachhaltige Effekte erzielen.
So hat die Hälfte der Befragten etwa lediglich eine Diät ausprobiert, um Gewicht zu reduzieren. Vor verschreibungspflichtigen Medikamenten wie Abnehm- und Diätspritzen schrecken viele Teilnehmer:innen bislang zurück: Bloß 8,7% haben solche Medikamente bereits eingenommen, in Deutschland sind es sogar nur 4,9%. Vorstellen könnten sich die Einnahme hingegen 28% der deutschen Befragten mit einem BMI von 30 und mehr.
Abnehmwillige in Deutschland geben im Schnitt 161 Euro pro Monat für ihr Wunschgewicht aus
Ein ähnlich diffuses Bild zeigt sich bei der Frage, wie lange die Befragten bereit sind, Geld zum Erreichen ihres Wunschgewichtes zu investieren. Einerseits stimmen 86% der Konsument:innen der Aussage zu, dass Adipositas eine Krankheit ist, die eine kontinuierliche und langfristige Behandlung erfordert. Doch andererseits kann es sich nur eine Minderheit von 12% vorstellen, dafür länger als ein Jahr Geld auszugeben. Insgesamt wenden Verbraucher:innen in den USA mit rund 245 Euro die höchste Summe pro Monat fürs Abnehmen auf. In Deutschland sind es 161 Euro, im Vereinigten Königreich 130 Euro.
„Die Situation ist paradox: Viele Menschen wollen zwar langfristig Gewicht verlieren, scheuen sich aber oft, dafür auch langfristig Zeit und Geld zu investieren. Im Dickicht von Diäten, Sport, operativen Eingriffen und neuen Medikamenten finden sich viele Abnehmwillige zudem schlicht nicht zurecht“, sagt Dr. Thomas Solbach, Partner bei Strategy& Deutschland und Leiter der Pharma Life Sciences Practice. „Die Gesundheitsbranche sollte hier Aufklärungsarbeit leisten und so dabei helfen, dass aus dem Abnehmwunsch auch Abnehmerfolge werden können. Statt sich auf einzelne Abnehmstrategien und -produkte wie Adipositas-Medikamente, Verhaltenstherapien oder Diät-Programme zu fokussieren, gilt es, personalisierte und ganzheitliche Modelle zur Adipositasbehandlung – und insbesondere zur Prävention von Übergewicht – zu entwickeln. Dabei sollten die Verbraucher:innen und ihre individuellen Lifestyle- und Gesundheitsprofile im Vordergrund stehen. Nicht der Mensch muss zum Modell passen, sondern das Modell zum Menschen.“
Verbraucher:innen fürchten sich vor Nebenwirkungen von Abnehmspritzen
Die beliebtesten Maßnahmen um abzunehmen sind bislang Sport und Bewegung. 71% der Befragten haben in der Vergangenheit versucht, damit ihr Gewicht zu reduzieren. Etwas mehr als die Hälfte hat außerdem eine Diät gemacht oder ihr Essverhalten angepasst, etwa durch intermittierendes Fasten. Auch Diätnahrungsmittel wie Ersatz-Shakes werden oft konsumiert: 29% wollten so bereits Gewicht verlieren.
Trotz ihrer wachsenden Beliebtheit hat nur ein Bruchteil aller Befragten bisher verschreibungspflichtige Medikamente wie Abnehm- und Diätspritzen verwendet. Etwas mehr als ein Drittel der Befragten entschied sich aus Sorge vor möglichen Nebenwirkungen dagegen, ein weiteres Drittel erklärte, ohne die Einnahme von Medikamenten abnehmen zu wollen. Knapp 30% sind Adipositas-Medikamente zu teuer.
Dass eine Preissenkung zu einer längeren Einnahmebereitschaft führt, scheint allerdings fraglich. So gab die Mehrheit der Verbraucher:innen an, Adipositas-Medikamente auch dann nur für einen kurzen Zeitraum konsumieren zu wollen, wenn die Krankenkasse die Kosten dafür übernähme. Gleichzeitig setzten diejenigen Befragten, die bereits Abnehmmedikamente genommen hatten, die Therapie mehrheitlich nach spätestens sechs Monaten wieder ab.
„Um eine Adipositas-Krise und die damit einhergehende finanzielle Mehrbelastung abzuwenden, muss ein Mentalitätswandel stattfinden – und zwar nicht nur bei Abnehmwilligen, sondern bei allen Akteuren im Gesundheits-Ökosystem“, sagt Iryna Scheurlen, Director bei Strategy& Deutschland und Co-Autorin der Studie. „Zunächst sollten sich alle Branchenteilnehmer fragen, welche Rolle sie in Zukunft in der ganzheitlichen und langfristigen Adipositasversorgung übernehmen wollen und wie sie ihr Geschäftsmodell darauf ausrichten können: In welche Innovationen sollten Pharmaunternehmen investieren, um die Adipositasversorgung der Verbraucher:innen bestmöglich zu personalisieren? Welche Richtlinien und Gesetze kann die Politik verabschieden, um neue Pflege- und Geschäftsmodelle zu ermöglichen? Und was für Anreize können die Krankenkassen schaffen, um ihre Versicherten zu einer nachhaltigen Gewichtsreduktion zu animieren? Sektorübergreifende Partnerschaften sind dabei eine absolute Notwendigkeit, um integrierte und individualisierte Angebote zu schaffen – die schließlich vollkommen neue Märkte eröffnen können.“