Der Mittelstand ist in Deutschland für >50% der Handelsströme verantwortlich1 und trägt damit zum weltweiten Wirtschaftswachstum bei. Doch gestiegene geopolitische Risiken – insbesondere die Anzahl und Intensität globaler Konflikte - und eine zunehmend fragmentierte Weltordnung bedrohen den Handel. Der Mittelstand muss darauf reagieren, indem er seine Lieferketten neu denkt und seinen Produktionsfußabdruck via De-Risking und/ oder Safe-Shoring für die Zukunft krisenfest gestaltet.
Der globale Handel ist seit Jahrzehnten ein Garant für weltweites Wirtschaftswachstum und der Treiber von Wohlstand – eine Erfolgsgeschichte, von der Deutschland als exportorientierte Nation besonders profitiert. In diesem Bereich ist der Mittelstand zentral: Auf Basis von Unternehmertum und Technologieaffinität ist er für >50% der deutschen Handelsströme2 verantwortlich.
Die Fortschreibung dieses Erfolgs ist angesichts der multiplen Krisen in Gefahr. Protektionismus, Kriege, Krisen oder Umweltkatastrophen erschüttern globale Lieferketten. Die letzten Jahre haben gezeigt, wie z.B. kurzfristig ausbleibende Lieferungen von Vorlieferanten selbst robuste Unternehmen in teils existentielle Gefahr bringen. Flexibilität und Anpassungsfähigkeit sind stärker als jemals zuvor gefragt, um weiterhin im globalen Konzert erfolgreich mitzuspielen. Internationaler Handel ist mehr denn je ein Balanceakt zwischen Risiken und Chancen.
Unternehmen aus dem deutschen Mittelstand sollten sich die folgenden Fragen stellen, um globale Märkte weiter als Wachstumschance nutzen zu können:
Das beschaffungsseitige Risikoportfolio mittelständischer Unternehmen hat sich in den vergangenen Jahren deutlich erweitert. Wesentliche Treiber sind hier erhöhte Komplexitäten, z.B. durch Singularitäten in der gesamten vorgeschalteten Lieferkette, höhere Taktungen in eng verzahnten Wertschöpfungsketten sowie eine vermehrt globalisierte Beschaffung bei zeitgleich gesteigerten, geopolitischen Risiken. Um diesem veränderten Risikoportfolio Rechnung zu tragen, müssen die Lieferketten neu gedacht werden. In einem ersten Schritt gilt es, gefährliche Abhängigkeiten und Singularitäten in der gesamten vorgeschalteten Lieferkette, z.B. kritische Beschaffungsteile und -technologien, zu identifizieren. Sowohl für diese Produkte oder Komponenten als auch für jene, die eine Kombination aus hoher Beschaffungsteilerelevanz und hohem Zulieferrisiko aufweisen, muss nun der Geschäftsbetrieb unter allen Umständen abgesichert werden. Hierzu sollten die klassischen einkaufsseitigen Maßnahmen vorbereitet werden, z.B. Aufbau von Zweitlieferanten, vertikale Integration oder technische Alternativlösungen. Hierbei sind die Themen Ressourceneffizienz, Nachhaltigkeit sowie globale Besteuerung adäquat zu berücksichtigen.
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Agile and resilient footprints
Auch der eigene Produktionsfußabdruck sollte im Hinblick auf geopolitische Risiken überdacht werden – er muss sich widerstandsfähig erweisen gegenüber spontan auftretenden Krisen als auch längerfristigen Verwerfungen internationaler Beziehungen. Hierfür bieten sich De-Risking als statische, und Safe-Shoring als agile Ausprägung eines resilienten Produktionsnetzwerks an.
Safe-Shoring kommt insbesondere in Frage, wenn in ökonomisch attraktiven, aber auch krisengefährdeten Regionen produziert werden soll. Das Kernelement von Safe-Shoring ist dabei die flexible Verlagerungsfähigkeit der Produktion. Dies lässt sich über eine möglichst geringe Anzahl an (beweglichen) Vermögenswerten sowie kleinen Management- und Expertenteams auf Expat-Basis in den lokalen Dependancen realisieren. Alle weiteren für die Produktion benötigten Ressourcen wie Anlagen oder Arbeitskräfte werden über flexible Verträge bei lokalen Anbietern beschafft. Ein aktuelles Beispiel ist hierbei die Fertigung von automobilen Kabelbäumen, welche durch den Krieg in der Ukraine flexibel und schnell in andere Weltregionen (u. A. Süd-Ost-Europa, Nordafrika) verlagert wurde.
De-Risking bietet sich an, wenn eigene Produkte oder Beschaffungsmärkte von protektionistischen Maßnahmen betroffen sind. Das (partielle) Auftrennen der Lieferketten zum „local-for-local“-Prinzip erlaubt dabei das Umgehen etwaiger Handelsrestriktionen. Dies lässt sich im Hinblick auf produktionsrelevante Maschinen bewältigen, indem diese so gestaltet bzw. adaptiert werden, dass Ersatz- und Austauschteile lokal bezogen werden können. Darüber hinaus braucht es ein starkes lokales Management mit Landesexpertise und Verbindungen zu Politik und Wirtschaft, die dabei unterstützen, auch in Krisenzeiten die Produktion zu gewährleisten. Bei Forschung und Entwicklung werden Kernfähigkeiten grundsätzlich lokal weiterentwickelt. Gleichzeitig sollte es aber einen konzernweiten Austausch geben, um dort, wo es rechtlich möglich und ökonomisch sinnvoll ist, Potenziale durch Zusammenarbeit zu heben.
Die Ansätze für Safe-Shoring und De-Risking können dazu beitragen, den globalen Handel trotz geopolitischer Disruptionen weiterhin profitabel für Unternehmen zu gestalten. Der deutsche Mittelstand ist daher gefragt, wirksame und zukunftsfeste Lösungen für ein Neudenken der Lieferketten sowie die Resilienzsteigerung im Produktionsfußabdruck zu entwickeln.
Matthias Röper, Nils Goepel und Piet Ramsl waren ebenfalls an der Erstellung dieses Artikels beteiligt.
Partner, Strategy& Deutschland
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Dr. Raimund Wolf
Director, Strategy& Deutschland