Mit Billigung des Digital-Gesetzes (DigiG) am 02. Februar 2024 wird die elektronische Patientenakte (ePA) ab dem Jahr 2025 für alle gesetzlich Versicherten verpflichtend in Deutschland bereitgestellt. Damit wird die ePA maßgeblich zur digitalen Transformation im Gesundheitswesen beitragen. Mit ihr können Patient:innen ihre Erkrankungshistorie einfacher nachvollziehen und damit ihre Gesundheitsversorgung stärker selbst steuern. Zudem unterstützt die ePA Leistungsbringer dabei, die bestmögliche Patient:innenversorgung anzubieten, da alle relevanten Informationen an einem Ort bereitstehen.
Die Digitalisierung des Gesundheitswesens in Deutschland steht jedoch an einem Wendepunkt. Einerseits besteht ein breites Interesse an digitalen Technologien, etwa an mobilen Gesundheitsapps zur Selbstüberwachung. Andererseits nehmen die verschiedenen Akteure staatlich bereitgestellte Leistungen und Produkte wie die elektronische Patientenakte nur zögerlich an.
Die vorliegende Analyse bietet eine Bestandsaufnahme sowie eine strategische Roadmap, um den digitalen Wandel im Gesundheitswesen partizipativ zu gestalten, statt ihn nur zu begleiten. Die Basis dieser Studie sind insbesondere Expert:innen-Interviews mit relevanten Stakeholdern – Leistungserbringer, Patient:innen und Vertreter:innen von Krankenkassen – sowie die Analyse von mehr als 15 Studien aus E-Health-Vorreiterländern. Hieraus resultieren Einblicke in die Erwartungen, Befürchtungen und die Erfolgsfaktoren, die die Einführung und Akzeptanz der ePA in Deutschland beeinflussen.
Die ePA soll die Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens deutlich voranbringen, indem sie Patient:innendaten an einem Ort speichert und nutzbar macht. Zudem soll sie das Patient:innenerlebnis und die -behandlung optimieren. Dies bietet neue Chancen im Gesundheitssektor, stellt ihn jedoch zugleich vor neue Herausforderungen, da jede Interessengruppe ihre eigenen Bedenken, Anforderungen und Erwartungen mit der elektronischen Patientenakte verbindet.
Bewusstsein | Nutzen/ Mehrwert | Technische Handhabbarkeit | Regulatorik | |
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Leistungserbringer | Nur 14% der Leitungserbringer weisen aktiv auf die ePA hin, weil die ePA im Praxisalltag oftmals nicht abbildbar ist z.B. aufgrund von nicht-vorhandenen Ressourcen | Aus Sicht der Leistungserbringer ist die ePA nur eine unstrukturierte PDF Sammlung, die redundante Arbeit verursacht und viel Zeit beansprucht | Lediglich 49% der Arztpraxen weisen eine ePA-Readiness (Ausstattung mit ePA-Modul), mangelnde Interoperabilität stellt ein großes Problem dar | Durch fehlende Verpflichtung zur Befüllung/ Nutzung der ePA, bieten die ePA-Inhalte selten Mehrwert, da der Gesundheitszustand des Patienten nur unvollständig vorliegt |
Patient:innen | 39% der Patient:innen kennen die ePA und rund 48% haben Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes | Die Informationen in der ePA sind noch nicht patient:innengerecht aufbereitet. Dies erschwert es ihnen, die eigenen Gesundheitsdaten einzuordnen | Den Leistungserbringern zufolge sind circa 60% der Patient:innen digital affin. Trotzdem fehlt vielen Patient:innen die Motivation, die ePA einzurichten | Der Aufwand für die Patient:innen beim Registrieren ist groß. Dies hält viele davon ab, die ePA zu nutzen |
Krankenkassen | Für die Krankenkassen hat die ePA grundsätzlich eine hohe Priorität. Sie bewerben sie allerdings noch nicht aktiv | 41% der Versicherten glauben, dass Krankenkassen vertrauenswürdig mit den bereitgestellten Daten umgehen und sie Nutzen stiftend einsetzen können | Um eine gut funktionierende ePA bereitstellen zu können, sind Krankenkassen auf die technischen Entwicklungen der ePA-Hersteller angewiesen | Nachdem das Video-Identverfahren weggefallen ist, ging die Zahl der ePA-Neuregistrierungen um bis zu 100% zurück |
Auf Basis der Herausforderungen für die verschiedenen Interessengruppen sowie den Best Practices aus anderen Ländern haben wir vier zentrale Handlungsfelder identifiziert. Für sie braucht es Lösungen, um die ePA in Deutschland erfolgreich zu implementieren und ihre Akzeptanz zu maximieren:
Für jedes Handlungsfeld schlagen wir konkrete Lösungen vor. Sie sind geeignet, um die Nutzer:innengewinnung und Traktion, die Entwicklung Nutzen stiftender ePA-Anwendungen, die Interoperabilität und Bedienbarkeit zu verbessern; außerdem können sie die mit der ePA im Zusammenhang stehende Regulatorik vereinfachen und verproben helfen.
Die einzelnen Deep-Dives sind in unserer Studie nachzulesen.
Mit der Einführung und fortlaufenden Entwicklung der ePA beginnt für die digitale Transformation im Gesundheitswesen eine vielversprechende Phase: Die ePA kann eine Veränderung herbeiführen, die weit über die aktuelle Praxis hinausgeht und die die Interaktion zwischen Patient:innen und Akteur:innen im Gesundheitswesen nachhaltig prägen könnte.
Insgesamt empfehlen wir, die ePA kooperativ und flexibel weiterzuentwickeln. Nutzer:innen stärker einzubinden, technische Standards zu harmonisieren und die Nutzer:innenfreundlichkeit zu erhöhen, werden die Akzeptanz der ePA maßgeblich steigern. Die Zukunft der elektronischen Patientenakte liegt in der Hand derjenigen, die bereit sind, sich diesen Herausforderungen zu stellen – und die Chancen eines stärker digitalen und zugleich menschenzentrierten Gesundheitssystems zu nutzen.
Ludwig Biller, Navid Memarnia, Selina Graf und Leon Kaestele waren ebenfalls an der Erstellung dieser Studie beteiligt.