Die neue Lust am Gestalten

Warum Transformation die bessere Restrukturierung ist

Warum Transformation die bessere Restrukturierung ist
  • Blogartikel
  • Mai 2023

Michael Weiss | Partner, Strategy& Deutschland

Der Weltuntergang scheint auf unbestimmte Zeit verschoben. Inflation und die Gaspreise sinken. China hat die Pandemierestriktionen aufgehoben und seine Häfen geöffnet. Zugleich haben viele Unternehmen ihre Lieferketten neu justiert und diversifiziert. Die Polykrisen gehören inzwischen zum New Normal. Wird es nun Zeit, den Krisenmodus zu verlassen und sich endlich wieder auf das Tagesgeschäft zu konzentrieren?

Der Wunsch, Krisen rasch hinter sich zu lassen und nach vorne zu blicken, gehört zum festen Manager-Mindset. Sie haben einen Anfang, einen Höhepunkt, und ein Ende. Aber was, wenn der Ausnahmezustand zur Regel wird? Auf den ersten Blick sind viele Branchen weiterhin auf Erfolgskurs. In Deutschland stellen zahlreiche DAX-Konzerne Dividendenrekorde auf und die Orderbücher sind noch bis April gefüllt. Doch zur Jahresmitte könnte sich die Lage eintrüben, denn die Inflation befeuert eine Lohn-Preis-Spirale. Der Bedarf nach Restrukturierung dürfte bald steigen. Das lässt auch die aktuelle PwC CEO-Survey1 vermuten: 73% der befragten CEOs gehen davon aus, dass das weltweite Wirtschaftswachstum im nächsten Jahr zurückgehen wird. So pessimistisch waren die CEOs zuletzt vor 12 Jahren. Und auch die deutsche Bevölkerung blickt nach einer Allensbach-Umfrage insgesamt so pessimistisch in die Zukunft wie seit den 1950er Jahren nicht mehr2.

Nach einer aktuellen Untersuchung von PwC3 sind 50% der deutschen Maschinenbauer derzeit in einer finanziell angespannten Lage:

Prozentualer Anteil von Unternehmen in einer Schieflage (2019 - 2022)

Aber ist der klassische Restrukturierungswerkzeugkasten, der zumeist auf Kostensenkung basiert, in Zeiten der disruptiven Transformation noch die richtige Wahl? Die heutige Managergeneration hat den Großteil ihrer Karriere in einer goldenen Dekade von Wachstum und Negativzinsen verbracht und nur zeitlich bzw. regional begrenzte Krisen erlebt. Die Lage in ihren Kernmärkten stand sehr lange unter sehr günstigen Vorzeichen. Doch die aktuellen Poly- oder Multikrisen verlangen von den CEOs die Entwicklung von neuen Krisenbewältigungsstrategien  ̶  und einen neuen Blick auf die Transformation.

Die Transformation, mit der heutige Unternehmen auf die Disruptionen ihres Geschäftsmodells reagieren, kann nur erfolgreich sein, wenn sie nicht als Prozess, sondern als Mindset begriffen wird. Transformation als Mindset bedeutet eine ständige Bereitschaft zu Innovationen, zu Agilität und zum Hinterfragen des eigenen Tuns und Wirtschaftens. Wer diese Haltung nicht verinnerlicht, hat schnell das Nachsehen.

Damit das nicht passiert, haben wir vier Treiber identifiziert, die wir als Grundlage einer Transformation als Mindset sehen.

Vier Treiber von Transformation als Mindset

  • 1
    Leadership
    Die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen und Entscheidungen zu treffen, sind in Phasen des Umbruchs essenziell. Derzeit erleben wir jedoch aus meiner Sicht eher das Gegenteil. Die C-Level-Positionen wachsen geradezu exponentiell: Von 2004 bis 2020 hat die Personaldichte auf C-Level-Positionen weltweit um 93% zugenommen. Das lässt sich nur durch mehr Vorstandsressorts bewerkstelligen: Chief Diversity and Inclusion Officer, Chief Information Security Officer, Chief Sustainability Officer, Chief Technology Officer, Chief Digital Officer – um nur einige Neuschöpfungen der letzten Jahre zu nennen4. Klare Zuständigkeiten sind grundsätzlich richtig, aber ein immer größeres Board kann am Ende zu Verantwortungsdiffusion, Nichtzuständigkeit und Trägheit der Organisation führen. Gerade in Krisen muss immer klar sein, wer führt – und das ist der oder die CEO.
  • 2
    Mut und Timing
    Frühzeitige und stetige Transformation erspart Organisationen drastische und oftmals vergebliche Restrukturierungsmaßnahmen. Die aktuellen Herausforderungen, denen sich die europäische Industrie gegenübersieht, verlangen nach schnellen und mutigen Entscheidungen – auch gegen Widerstände – und ihre agile und dynamische Implementierung. Entscheidungsfreudige Entscheidungsträger waren selten so gefragt wie heute. Der Spielraum für souveräne strategische und zukunftsorientierte Entscheidungen muss genutzt werden, bevor der Kreditgeber involviert wird.
  • 3
    Offenheit und Durchlässigkeit
    Befragungen im Mittleren- und Top-Management machen immer wieder deutlich, dass Unternehmen meist nicht an schlechten Produkten scheitern, sondern an der schlechten Kommunikation, Hybris und einer Kultur der Angst, die ein Umsteuern verhindern5. Organisationen können jedoch nur erfolgreich bleiben, wenn innovative Impulse von innen oder Hinweise auf Fehlentwicklungen nicht in den Strukturen versanden. CEOs müssen deshalb ihre Strukturen und Kommunikation so gestalten, dass sie auch abweichende Meinungen zulassen und in produktive Wege leiten.
  • 4
    Fokus und Biss
    In vielen Branchen wurde die lange Phase des billigen Geldes eher für leichtfertige M&As und Aktienrückkäufe als für einen strategischen Resilienzaufbau genutzt. Ist die Krise dann eingetreten, neigen Organisationen schnell zum Aktionismus. Was über Jahre versäumt wurde, soll idealerweise in kürzester Zeit behoben werden. Organisationen vertragen jedoch nur ein gewisses Maß an gleichzeitiger Veränderung. Deshalb ist Fokus und Priorisierung entscheidend. Sowie der Wille, auch in der Krise die Konkurrenz zu überrunden. Wenn alle Marktteilnehmer schwächeln, ist die Versuchung nah, mit dem Strom zu schwimmen und sich treiben zu lassen. Doch gerade in Ausnahmesituationen werden die Karten neu gemischt und bieten Chancen für neue Champions.

Never waste a good crisis

Unternehmenslenker sollten also der Versuchung widerstehen – ob vom Zeitgeist oder der Not getrieben – die Krise allein an einen Chief Transformation Officer zu delegieren, sondern dem Wandel mit Mut, Gestaltungsfreude und einem starken, aber kompakten Entscheiderteam begegnen. Die Bewältigung einer Krise gehört zur Königsdisziplin und Kernaufgabe des CEOs. Unternehmensstrategische Herausforderungen an eine (neu geschaffene) Vorstandsposition zu delegieren, heißt zudem nicht zwangsläufig, dass das Problem gelöst wird. Ebenso bedeutet das Ausrufen ambitionierter Ziele noch nicht, dass diese auch erreicht werden.

Von Churchill ist das Zitat überliefert, keine Krise zu verschwenden. Darin steckt viel Wahrheit. Denn Krisen sind Ausnahmesituationen, in denen das Gewohnte vorübergehend seine Gültigkeit verliert. Und Krisen sind ein Zeitfenster, in denen man Dinge neu denken kann und muss. Wer sich in dieser Phase nicht vom Schock der Krisen übermannen lässt, sondern sich die Lust am Gestalten bewahrt, wird gestärkt aus ihr hervorgehen. Noch besser ist jedoch, schon vor der Krise die Prozesse und Ziele der eigenen Organisation stetig zu hinterfragen und kontinuierlich zu transformieren.

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Michael Weiss

Michael Weiss

Partner, Performance & Restructuring, Strategy& Deutschland

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