Aktuell häufen sich öffentliche Warnungen über die deutsche Automobil- und Zulieferindustrie: Sie sei einem beispiellosen und unabwendbaren Abstieg verschrieben. Tatsächlich erleben wir eine Strukturveränderung, die in den letzten 30 Jahren ihresgleichen sucht. Technische Disruptionen, wie der Aufstieg elektrischer Antriebe, die Digitalisierung von Fahrzeugen und bedeutende Veränderungen in der Markt- und Wettbewerbsstruktur, stellen deutsche Zulieferer vor enorme Herausforderungen.
Doch die Lage ist weder beispiellos noch unabwendbar. Bereits Mitte der 1990er-Jahre musste sich die Branche einer großen strukturellen Anpassung mit Konsolidierungswellen, verschärftem Preiswettbewerb und der Auslagerung des Komponentengeschäfts durch Automobilhersteller aus den USA stellen. Damals entstanden neue Geschäftsmodelle, wie die Systemlieferanten, und die Automobilbranche transformierte sich. Auch wenn die damaligen Strategien heute nicht mehr ausreichen, bieten sie eine wertvolle Lerngrundlage, dass selbst aus schwierigen Ausgangslagen positive Zukunftsoptionen entstehen können.
Diese individuellen strategischen Optionen müssen jetzt von jedem Zulieferer aktiv verfolgt und umgesetzt werden. Daher fokussiert sich unsere Automobilzuliefer-Studie dieses Jahr auf drei Schlüsselprioritäten, die die Branche für eine erfolgreiche Zukunft anstreben sollte. Dafür haben wir die Branche umfassend untersucht und ausgewählte Bilanzkennzahlen der 85 internationalen Top-100-Zulieferer mit einem Automotive-Umsatzanteil von über 50% analysiert.
In der globalen Automobilbranche zeigt sich ein nominales Nullwachstum, das real sogar einen Rückgang bedeutet. Der Markt selbst wächst nicht, dennoch versuchen immer mehr Automobilhersteller, sich ein Stück davon zu sichern. Die chinesischen Automobilhersteller streben in die Top-10 und gleichen den Rückgang der traditionellen Wachstumsstützen aus. Seit 2019 haben die großen europäischen Volumenhersteller signifikante Marktanteile und Produktionsvolumina verloren, die den europäischen Zulieferern fehlen. Diese Marktveränderung macht sich bemerkbar: Acht chinesische Automobilzulieferer sind nun unter den Top-100 der Branche.
In der Automobilbranche stehen viele Industrieakteure aufgrund der Erosion klassischer Automobilzentren vor neuen Herausforderungen. Zahlreiche Automobilzulieferer suchen ihre Zukunft in individuellen Lösungen. Dies hat traditionell bewährte Zusammenarbeitsmodelle sowie Kunden- und Lieferantenbeziehungen beschädigt. Diese Entwicklung führt zu einem Rückgang der Wettbewerbsfähigkeit westlicher Automobilhersteller und Zulieferer insgesamt. Jetzt ist es an der Zeit, in der Automobilbranche enger zusammenzurücken und eine neue Rollenverteilung für die Zukunft festzulegen.
Um in der stetig transformierenden Automobilbranche wettbewerbsfähig zu bleiben, benötigen Unternehmen eine ausgeklügelte Wertschöpfungsarchitektur, die auf Geschwindigkeit, Innovation und Skalierung setzt. Einige Automobilzulieferer und Automobilhersteller haben bereits mit der Erarbeitung solcher Strukturen begonnen, während andere noch folgen müssen, um nicht Gefahr zu laufen, ihre Marktstellung zu verlieren.
Chinesische Anbieter haben das deutsche Modell der engen Zusammenarbeit bei Verbrennungsmotoren gut für die Elektromobilität angepasst, während die deutsche Automobilindustrie bei der Umstellung auf neue Technologien teils hinterherhinkt. Erfolgsentscheidende Finanzierung ist nur mit einer zukunftsgerichteten Wachstums- und Wettbewerbsstrategie möglich. Es ist daher unerlässlich, über kluge und gemeinsame Strategien den Weg zurück zum Erfolg zu finden.
Folgende Aktivitäten stehen hier im Zentrum:
Steven van Arsdale, Philipp von Brentano, Sophie Kulig, Sarah Luisa Guida, Dr. Kolja Lichtenhälter, Rob van der Meulen, Nils Goepel und Marie Enders waren ebenfalls an der Erstellung dieser Studie beteiligt.